Wohnen muss nachhaltig und bezahlbar bleiben
Das „Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft 2021“ widmet der Bevölkerungsentwicklung in den ländlichen Räumen ein eigenes Kapitel. Daraus geht hervor, dass die Regionen „hinter den Speckgürteln“ nicht mehr ausbluten, sondern Wanderungsgewinne verbuchen können. Vor allem die Altersgruppe der 30- bis 50-jährigen zieht es raus aus der Stadt.
Überrascht Sie die Wanderungsbewegung raus aus der Stadt?
Keineswegs. Wir beobachten diese Entwicklung schon länger. Bereits vor Corona konnten wir feststellen, dass mehr Familien nach draußen wollen. Dafür gibt es mehrere Gründe, die in den besonderen Eigenschaften des Gutes Wohnen zu finden sind: Beim Konsumgut „Wohnung“, wird mehr als nur die Wohnung und ihre Ausstattung konsumiert, sondern die öffentlichen Güter, die im Umfeld der Wohnung angetroffen werden. Insbesondere für Familien zählen die Qualität der öffentlichen Schulen, die Sicherheit im öffentlichen Raum, das Grün, die Einkaufsinfrastruktur und das nachbarschaftliche Milieu ebenfalls dazu. Wenn in diesen Bereichen die Qualität abnimmt und Präferenzänderungen der Menschen hinzukommen, dann entsteht der Impuls, der Wanderungsbewegungen initiiert. Auch auf unserer Wohnwetterkarte zeichnet sich ab, dass sich Ballungsräume zunehmend ausweiten.
Beschleunigt Corona die Abkehr von der Stadt?
Durch die Pandemie ist eine zusätzliche Dynamik entstanden, die diese Grundtendenz verstärkt und jetzt sichtbarer werden lässt. Die Digitalisierung in Verbindung mit mobilem Arbeiten wirkt in diesem Kontext trendverstärkend. Bürobeschäftigte können durch eine gute Internetverbindung körperlich auf dem Land sein und gleichzeitig geistig ihre Arbeit im Büro erledigen. Und der Wunsch nach mehr Grün im Wohnumfeld ist durch wärmere Sommer und durch Corona auch gewachsen. Alles deutet bislang darauf hin, dass das mobile Arbeiten bleiben und dazu führen wird, dass ländliche Räume durch den Zuzug von Familien revitalisiert werden.
Dass Familien aus der Stadt ziehen, kann aber auch ökonomisch begründet sein. Die Preisentwicklung auf den städtischen Wohnungsmärkten kennt seit Jahren schließlich nur eine Richtung: die nach oben. In der Tat führt die Wohnungsknappheit zu starken Preissteigerungen beim Wohnen – und zwar sowohl bei der Miete als auch beim Kauf. Noch ist meist das ländliche Wohnen günstiger als das Wohnen in der Stadt. Ich appelliere deshalb schon länger für eine angebotsorientierte Grundstückspolitik. Also dafür, in städtischen Bereichen mehr Bauland zu schaffen, um der Wohnungsnachfrage ein erhöhtes Angebot entgegenzusetzen und damit zu einem Marktausgleich zu kommen. Die Bereitschaft, neue Baugebiete auszuweisen, hat nach meiner Wahrnehmung abgenommen und die Genehmigungsprozesse sind deutlich komplexer und auch durch Corona länger geworden. Neben der Baulandschaffung ist ein besserer Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt nur durch eine auf die Verbesserung der Angebotsbedingungen orientierte Politik auf Bundes- und Länderebene zu schaffen. Ich sehe stattdessen primär eines: Reglementierung und die permanente Erhöhung von Anforderungen an das Bauen. Letzteres ist nicht zum Nulltarif zu haben und erhöht die Spannung, Wohnen bezahlbar zu halten. Die Baukostensenkungskommission hat hier keine wirklichen Lösungen gebracht.
Bereiten Ihnen die Abwanderungstendenzen Sorge?
Durchaus. Denn draußen auf dem Land zu wohnen, ist nur für diejenigen eine Option, die geistig arbeiten und ihre Arbeitsleistung via Internet von jedem beliebigen Ort der Welt transferieren können. Und wenn junge Familien mit Kindern verstärkt wegziehen, werden sie nur bedingt wieder zurückkommen. Was sind die Konsequenzen? Eine zunehmende Segregation der Bevölkerung. Das kann nicht im Interesse unserer großen Städte sein. Das wesentliche Merkmal einer Stadtgesellschaft ist ja gerade ihre Vielfalt. Und heterogene Strukturen sorgen für die Lebendigkeit urbaner Lebensräume. Die Wohnungspolitik tut deshalb gut daran, wenn sie Maßnahmen ergreift, um die Abwanderung von Familien mit Kindern aufzuhalten. Gelingt das nicht, werden die sozialen Herausforderungen in den Städten zunehmen.
Die Wohnungspolitik tut deshalb gut daran, wenn sie Maßnahmen ergreift, um die Abwanderung von Familien mit Kindern aufzuhalten.
Und was ist konkret zu tun?
Ein entscheidender Faktor, den ich bereits erwähnt habe, ist die Grundstücksverfügbarkeit, um überhaupt Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten schaffen zu können. Die neuen Wohngebiete können nicht mehr so sein, wie die alten. Wir müssen heute einen höheren Anspruch an die Berücksichtigung von ökologischen Aspekten erfüllen. Wir merken das im Übrigen auch an der Präferenzverschiebung: Menschen legen wieder mehr Wert auf ein grünes Wohnumfeld, gesunde Wohnverhältnisse und mehr Vielfalt in ihrem Wohnumfeld. Gleichwohl müssen wir darauf achten, dass Nachhaltigkeit und ökologische Wertigkeit nicht zum Luxusgut werden. Wohnen muss bezahlbar bleiben – zur Miete ebenso wie beim Eigentum.
Was macht ein Wohngebiet nachhaltig?
Es geht darum, das Wohnen mit der Natur in Einklang zu bringen. Alles, was wir jetzt produzieren, muss einen Beitrag zum Erhalt von Natur, Landschaft und Ökosystemen leisten. Das funktioniert nur über einen konsequent ökologischen Ansatz – auch um denjenigen, die eine weitere Flächeninanspruchnahme für den Wohnungsbau ablehnen, eine Alternative anzubieten. Ich bin davon überzeugt, dass ein gut gestaltetes, ökologisch orientiertes Wohngebiet eine höhere Biodiversität aufweist, als beispielsweise ein Maisfeld. Unser Anspruch ist, die Ressourcen, die wir zum Wohnen verbrauchen, mit dem in Balance zu bringen, was wir Natur und Landschaft schulden. Wir brauchen zudem mehr die Beachtung der menschlichen Dimension in Städtebau und Architektur, die eine Identifikation der Bewohner mit ihrem Gebiet und ihrem Haus fördert und der Kommune eine gute Gebietsqualität garantiert; die hinterlassen wir überdies den nächsten Generationen. Wenn es zudem gelingt, Städte mehr zu begrünen und die Innenstädte insgesamt attraktiver zu gestalten, dann wird auch der Exodus gewisser Bevölkerungsgruppen von der Großstadt ins Umland gebremst.