„Unsere Städte sind zu wenig auf die Bedürfnisse von Einpersonenhaushalten ausgelegt“

Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst dafür, allein zu wohnen. Die Forschungsagentur RIGO untersuchte im Auftrag von BPD diese Zielgruppe und kam zu dem Ergebnis, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte in der Stadt weiter wächst und oft über 40 Prozent beträgt. Funktioniert das ohne Probleme? Wir befragten fünf Experten hierzu.
  • Datum der Veröffentlichung: 4 Oktober 2018
  • Autor: Kees de Graaf | BPD Magazine Nr. 8
Marktforschung
Floris Alkemade, Niederländische Reichsbaumeister
Der niederländische Reichsbaumeister befasst sich mit Untersuchungen zu Wohnen und Pflege in der Stadt, Foto: Christiaan Krouwels
Floris Alkemade

„Der These stimme ich voll und ganz zu. Es müssen neue Wohnungstypen entwickelt werden, die ein besseres Gleichgewicht zwischen Individualität und Kollektivität bieten. Aber auch bei der Gestaltung des öffentlichen Raums müssen wir viel mehr hierauf achten. Wie kommen Menschen miteinander in Kontakt? Ich sehe dabei übrigens auch viele positive Entwicklungen, gegenseitige Solidarität und Generationen, die einander helfen wollen. Darauf müssen wir aufbauen, zusammen mit öffentlichen und privaten Akteuren und mit gut durchdachten Entwürfen.

Bei dem Gestaltungswettbewerb Who cares, der 2017 organisiert wurde, haben wir beispielsweise Wohnen und Pflege miteinander verbunden. Wir sehen die Alterung der Bevölkerung nicht als ein Problem, das gelöst werden muss, sondern als ein großes Potenzial. Wir müssen nicht nur an den Pflegebedarf älterer Menschen denken, sondern auch an ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Die Menschen werden älter und sind oft noch zu vielem fähig – davon sollten wir Gebrauch machen. Diese Botschaft legen wir unter anderem dem Gesundheitsministerium und dem Innenministerium sowie den Großstädten vor.“

Amos Engelhardt, Geschäftsführer i Live
Der Geschäftsführer von i Live entwickelt das Kompaktes-Wohnen-Projekte (in deutschen Städten), Foto: Fotostudio Spectrum
Amos Engelhardt

„Vor sieben Jahren sind wir in die Micro-Living-Nische eingestiegen. Wir stellten fest, dass die Gesellschaft nicht auf das Wachstum dieser Zielgruppe reagierte. Deshalb haben wir das i Live-Konzept entwickelt, bei dem das Wohnen mit allerlei Dienstleistungen kombiniert wird. Wir wollen Communities schaffen, in denen Menschen anderen auf unterschiedlichste Weise begegnen können. Wir unterscheiden dabei drei Produkte: Nice Living für Studenten und Jugendliche, Serviced Apartments für Menschen, die länger in der Stadt bleiben wollen, und seit Neuestem auch Best Age Living für Senioren.

Für jede Gruppe untersuchen wir die genauen Bedürfnisse. Manche Senioren wollen zum Beispiel ein Haustier gegen die Einsamkeit, andere ziehen es vor, einen Hund zu teilen – dafür bieten wir dann Dog Sharing an. Was uns manchmal noch im Wege steht, sind die traditionellen Vorschriften der Städte. Sie verlangen beispielsweise Stellplätze, auch wenn unsere Kunden gar nicht mehr Auto fahren. Das kann und muss sich ändern.“

Kirsten Gram-Hanssen, Professorin an der Universität Aalborg
Kirsten Gram-Hanssen ist Professorin am Dänischen Institut für Bauforschung (Universität Aalborg), Foto: Jørgen True
Kirsten Gram-Hanssen

„In den skandinavischen Ländern sehen wir drei wichtige Entwicklungen: junge Menschen, die länger Single bleiben, Ältere, die länger allein zu Hause wohnen bleiben – während sie früher in ein Altersheim gingen –, und Menschen mittleren Alters, die sich scheiden lassen oder noch keine Beziehung hatten. Und doch werden die Folgen dieser Entwicklungen wenig diskutiert. Auch die Neubauplanung wird nicht hierauf abgestimmt. Kommunen und Entwickler bauen lieber für Familien – wie sie es schon seit hundert Jahren tun –, anstatt neue Wohnformen zu entwickeln, die auf die verschiedenartigen Einpersonenhaushalte zugeschnitten sind. Und das, obwohl allerlei Konzepte möglich sind, bei denen sich Alleinstehende Räume, Dienstleistungen und Einrichtungen teilen: Sharing. Es wäre auch im Sinne der Nachhaltigkeit besser. Man kann Baustoffe, Räumlichkeiten und Haushaltsgeräte wirtschaftlicher nutzen.“

Kommunen bauen lieber für Familien.
Kirsten Gram-Hanssen
Professorin am Dänischen Institut für Bauforschung (Universität Aalborg)
Michael Voigtländer, Immobilienökonom am IW
Der Immobilienökonom am Institut der Deutschen Wirtschaft untersucht den Zusammenhang zwischen Demographie und Stadtentwicklung, Foto: Institut der deutschen Wirtschaft
Michael Voigtländer

„Auch in den deutschen Städten steigt die Zahl der Alleinstehenden weiter. Wenn wir uns ansehen, was gebaut wird, sind das hauptsächlich größere Wohnungen mit vier bis fünf Zimmern. Hier gibt es eine deutliche Diskrepanz. Dadurch nimmt der Druck auf die bestehenden Kleinwohnungen stark zu. Es werden zwar Mikroappartements gebaut, oft aber in der oberen Preisklasse. Ob daran auf Dauer ein Bedarf sein wird, bezweifele ich. Deshalb müssen wir uns auch andere Lösungen ansehen.

Mehr Zwei- und Dreizimmerwohnungen bauen, aber auch beispielsweise flexible Wohnkonzepte für Studenten, die nach 15 Jahren wieder aufgehoben werden können. Darüber hinaus müssen wir in eine bessere Infrastruktur zwischen den Städten investieren, damit sich die Haushalte auch für Alternativen zur Großstadt – mit einem ausgeglicheneren Wohnungsmarkt – entscheiden können. Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, junge Haushalte nicht isoliert unterzubringen, sondern zwischen anderen Arten von Einpersonenhaushalten. So können Studierende älteren Menschen helfen und umgekehrt.“

Han Joosten, Leiter der Gebietsentwicklung und Marktforschung bei BPD
Han Joosten ist Kenner des deutschen und des niederländischen Wohnungsmarktes, Foto: Janita Sassen
Han Joosten

„Die Einpersonenhaushalte sind keine homogene Gruppe, sondern bestehen aus einem Spektrum verschiedenster Untergruppen. Diese Gruppen haben jeweils eigene Wünsche. Auch das Maß, in dem die Stadt ihren Wünschen entgegenkommt, ist von Gruppe zu Gruppe verschieden. Junge Leute, die gerne mit einem Laptop bei Starbucks sitzen, kommen schon zurecht. Für ältere, pflegebedürftige und einsame Menschen ist es viel schwieriger.

Diese Unterschiede werden in der Wohnungsbaupolitik nicht ausreichend berücksichtigt. Vor allem für Senioren, die noch in einem Einfamilienhaus wohnen, ist das Angebot zu gering. Sie wollen in ihrem vertrauten Viertel in eine kleine, bezahlbare Wohnung mit guten Dienstleistungen und Begegnungsmöglichkeiten umziehen. Aber auch für junge Menschen muss ein Angebot mit besserem Preis-Leistungs-Verhältnis geschaffen werden, das in eine breitere Gebietsentwicklung eingebettet ist.“

Es gibt alle Arten von Untergruppen mit jeweils eigenen Wünschen.
BPD Han Joosten (1)
Han Joosten
Leiter Gebietsentwicklung
Mail Han Joosten