Beschleunigen mit Holz?

Holzbauweise war in den Niederlanden beim Wohnungsbau jahrhundertelang der Standard, bis sie vor etwa zweihundert Jahren einen schlechten Ruf bekam: Als Nachteile wurden der Instandhaltungsaufwand, Brandgefahr und schlechte Schalldämmung aufgeführt. Heute ist Beton die Norm, obwohl dieser Baustoff für fast 80 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich ist. Vier Experten nehmen Stellung zu der These: Mit Holzbau können wir den Wohnungsbau beschleunigen und intensivieren.
BPD Magazin Nr. 17
BPD Magazine Holzbau Willem Otter
Foto: Janita Sassen
Willem Otter sagt: Stimmt

„In Anbetracht der Stickstoffkrise, die alle Bautätigkeit in den Niederlanden derzeit erschwert, kann der Holzbau den Wohnungsbau sicherlich beschleunigen. Holz ist leichter als Beton und Stahl, wodurch weniger Transporte und weniger schwere Maschinen nötig sind und öfter mit Elektrokränen gearbeitet werden kann. Für die CO2-Emissionen beim Bauen mit Beton bietet Holz in zweierlei Hinsicht eine Lösung: Zum einen speichert Holz CO2, während es wächst, und zum anderen trägt es in Kombination mit einem anderen Bauverfahren zur Senkung der Emissionen bei. Das probieren wir jetzt mit unserem Baukonzept FLOW aus. Mit einer Holzkonstruktion und Zellulose als Dämmstoff sparen wir bis zu 20.000 kg CO2 pro Wohnung.

Holz ist im Allgemeinen teurer als Beton. Wenn ein Holzhaus bezahlbar sein soll, muss deshalb das gesamte Bauverfahren überdacht werden, zum Beispiel, indem Prozesse digitalisiert werden und auf industrielle Bauverfahren gesetzt wird. Wenn das richtig umgesetzt wird, ist eine sogenannte File-to-Factory-Produktion möglich. So wird es möglich, mithilfe von Plattformtechnologie ein Haus zusammen mit dem Kunden in 3D zu entwerfen und anschließend in der Fabrik weitgehend automatisiert zu bauen. Dort arbeiten immer noch Facharbeiter, aber die robotergestützte Produktion ist, soweit möglich, die Norm. Die Plattformtechnologie bietet auch die Möglichkeit, die Qualitätskontrolle digital und direkt in die Prozesse einzubinden.

In ein paar Jahren wird jeder das beste Material wählen, nicht das preisgünstigste.
Willem Otter
Geschäftsführer BAM Specials

Wie Lego

Im Jahr 2023 werden wir in Haarlemmermeer in den Niederlanden die ersten 15 Häuser ganz aus Holz bauen. Die Holzwände und -böden kommen als 2D-Elemente aus unserer Fabrik. Auf der Baustelle wird alles zusammengesetzt, wie bei Lego. Fünf Mitarbeiter bauen das gesamte Haus an einem Tag zusammen. Es ist dann wind- und wasserdicht. In dreieinhalb Wochen kann ein solches Haus, je nach den vielen Größenoptionen, vollständig fertig sein. Früher war der Preis ausschlaggebend, und die künftigen Bewohner entschieden sich oft für das günstigste Material. Ich bin mir sicher, dass in ein paar Jahren jeder das beste Material wählen wird. Der Preis wird nur noch eines von mehreren Kriterien sein. Wir wollen ausschließlich mit natürlichen, biobasierten Baustoffen arbeiten und keine Wohnkonzepte aus Beton mehr realisieren. 2023 werden wir mit 200 Häusern beginnen, bis 2025 soll die Zahl auf 1.000 gesteigert werden. In ein paar Jahren müssen alle Bauunternehmen aufgrund von EU-Vorschriften mit dem CO2-armen Bauen beginnen, was zur Weiterentwicklung des Holzbaus beitragen wird. Ich denke, dass das eine gute Entwicklung für alle ist.“

BPD Magazine Holzbau Gudrun Sack
Foto: Amin Akhtar
Gudrun Sack sagt: Stimmt

„Der Holzbau ist in Deutschland derzeit die beliebteste Bauweise und wird im Raum Berlin-Brandenburg stark politisch gefördert. Ich bin aber der Meinung, dass der Wohnungsbau ganzheitlich betrachtet werden sollte. Die Frage lautet vielmehr: Wie müssen wir im Hinblick auf den Klimawandel bauen? Holz ist eine gute Lösung, um viel CO2 zu speichern. Bei Überlegungen zu den geeigneten Baumaterialien ist es sinnvoll, in regionalen Wirtschaftskreisläufen zu denken. Deshalb arbeiten wir in Berlin vorzugsweise mit Holz aus der Region. Wir haben in unserem Gebiet genug Kiefernholz, um in den nächsten fünfzehn Jahren in ganz Berlin mit Holz bauen zu können. Wenn wir die vorhandenen Monokulturwälder nachhaltig bewirtschaften und in widerstandsfähige Mischkulturen umwandeln, wird das Bauen mit Holz zu einer echten Win-Win-Situation.

Was das Bauen angeht, ist Holz ein echter Gamechanger. Die präzise Vorfertigung ermöglicht eine schnellere Montage auf der Baustelle und eine viel kürzere Gesamtbauzeit. In den letzten Jahren haben sich an verschiedenen Stellen in Deutschland viele hochmoderne Holzbaubetriebe angesiedelt, die auf Robotik setzen. Gleichzeitig müssen wir Häuser einfacher bauen, die Notwendigkeit hoher Normen für Brandschutz und Schallschutz überdenken. Die Vorschriften in Deutschland sind viel strenger als in den Niederlanden, dabei eignet sich Holz sehr gut für eine einfache Bauweise mit losen Elementen und Modulen.

Holz bewirkt einen echten Umschwung, vor allem durch die Fertigbauweise.
Gudrun Sack
Architektin und Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH

Schumacher Quartier

Auf dem ehemaligen Flughafen Berlin Tegel soll mit dem Schumacher Quartier ein Modellquartier in Holzbauweise entstehen. Es sind sechs Wohngebäude mit Punkten bis zu 60 Metern Bauhöhe geplant. Um das Erschließen neuer Einfamilienhausgebiete außerhalb der Stadt zu vermeiden, denken wir in neuen Planungsgebieten in TXL auch über Typologien wie gestapelte Einfamilienhäuser mit attraktiven Terrassen nach, die eine Alternative zu dem Wegzug ins Umland darstellen können. Im Schumacher Quartier sind die Ideen nicht nur von Planern, sondern auch von der Politik und durch viele Partizipationsverfahren eingeflossen. Das gesamte Quartier wird gemeinwohlorientiert entwickelt mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Baugenossenschaften und Baugruppen. Alle Grundstücke werden in Erbbaurecht vergeben. Dieser gemeinwohlorientierte Ansatz ist derzeit in Europa, wenn nicht weltweit, einzigartig. Berlin TXL ist ein Modellprojekt, das in Zukunft zum Umdenken anregt.“

BPD Magazine Holzbau Harm Tilman
Foto: Janita Sassen
Harm Tilman sagt: Stimmt nicht

„Holz ist ein sehr schönes, erneuerbares Produkt für den Wohnungsbau, aber nur, wenn es aus nachhaltiger Produktion stammt. Das ist per Definition ein langsamer Prozess. Wenn eine Million Häuser aus Holz gebaut werden sollen, muss es aus Wirtschaftswäldern bezogen werden. Holz aus Skandinavien, Deutschland oder Österreich zu importieren, verursacht zusätzliche Transportkosten und damit mehr CO2-Emissionen. Ein weitaus größeres Problem ist die geringe Artenvielfalt in diesen Wirtschaftswäldern. Auf diese Weise wird der Umweltvorteil von Holz im Wohnungsbau zunichte gemacht. Die Zahlen zeigen, dass es nicht genug Holz gibt, um alles aus Holz zu bauen. Bei den derzeitigen Waldbeständen weltweit beträgt die potenzielle Ernte zwölf bis 15 Milliarden Tonnen Holz pro Jahr. Die für den Bau benötigte Menge ist viel größer. Es müssten also große Summen in die Anpflanzung von Wäldern investiert werden, die dann im Interesse der Artenvielfalt nachhaltig bewirtschaftet werden müssten. Das erfordert eine enorme Vorinvestition, die erst nach 90 Jahren Ertrag bringen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand solche Investitionen tätigen will.

Holz ist derzeit ein Hype, denn Brettsperrholz (auch CLT genannt) ist ein großartiger Baustoff, der sich für Dächer, Böden und Überspannungen eignet. Ein Nachteil ist, dass viel Holz benötigt wird, und der Brandschutz verlangt zusätzliche Masse oder eine Gipskartonschale. Aber selbst wenn es zur Anwendung kommt, wird oft noch Beton verwendet. Beim Bauen mit Holz wird mehr auf die Gesundheit geachtet, aber Holz macht ein Gebäude nicht unbedingt gesünder. Bei CLT werden zum Beispiel mineralische Leime verwendet, deren gesundheitliche Auswirkungen wir nicht kennen. Und was geschieht am Ende der Lebensdauer, wenn Holz mit Leim darin zu Chemieabfall wird?

Könnten wir mit Wiederverwendung, Renovierung und Umbau nicht schneller vorankommen?
Harm Tilman
Autor, Dozent, Moderator und Redakteur im Bereich Architektur und Stadtplanung

Die Mischung macht‘s

Die Lösung für die große Herausforderung im Wohnungsbau liegt in der Verwendung eines Materialmixes aus Holz, Beton, Stahl und biobasierten Baustoffen. Vielleicht sollten wir uns auch fragen, ob wir wirklich so viele neue Wohnungen bauen müssen. Könnten wir nicht schneller vorankommen, wenn wir leer stehende Gebäude durch Wiederverwendung, Renovierung und Umbau für Wohnzwecke nutzbar machen? Es würde helfen, Bewohner dazu zu ermutigen, ihre Wohnungen aufzuteilen oder sich für Co-Housing zu entscheiden. Außerdem gibt es immer noch auffällig viel Leerstand bei Wohn- und Geschäftsgebäuden.“

BPD Magazine Holzbau Carina Hak
Foto: Janita Sassen
Carina Hak sagt: Stimmt

„Der derzeitige Zustand der Natur verlangt, dass wir klimaneutral bauen, und auch die Kunden sprechen immer öfter über Klima und gesundes Wohnen. Deshalb entscheiden wir uns für klimaneutrale Gebietsentwicklung und verwenden dafür natürliche, biobasierte Materialien wie Holz. Das haben wir für die nächsten Jahre deutlich in unsere Pläne aufgenommen, denn diese Entwicklung ist unumkehrbar. Bei unseren Projekten werden wir künftig mehr als bisher auf Holzbau setzen. Außerdem kann der Holzbau den Wohnungsbau durchaus beschleunigen, vor allem wenn auf industrialisierte Weise gebaut wird.

Holzbau ist oft teurer als Bauen mit Beton, aber der Unterschied wird geringer. In dieser Hinsicht sehe ich große Chancen für die fabrikmäßige Modulbauweise. Das erfordert weniger manuelle Arbeit, ermöglicht viel Variation und ist qualitativ sehr gut. Für die Facharbeiter, die auf diese Weise bauen, verbessern sich zudem die Arbeitsbedingungen. Aber Achtung: Um diese Vorteile ganz auszuschöpfen, muss diese Art des Bauens die Grundlage der Planung bilden. Im kommenden Jahr werden wir in jeder unserer vier Regionen mindestens zwei Projekte entwickeln, die von biobasiertem Bauen ausgehen. Auf diese Weise wollen wir Erfahrungen sammeln und eine neue Produktionskette auf die Beine stellen, mit neuen Formen der Zusammenarbeit und anderen wichtigen Partnern für den Bau. Bei einer Gebietsentwicklung in Purmerend arbeiten wir zum Beispiel mit der niederländischen Forstverwaltung zusammen. Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung versuchen wir, wertvollere Natur zu schaffen und ökologische Zusammenhänge zu verbessern. Zudem gibt es in diesem Gebiet Flächen, die wir für den Anbau natürlicher Materialien wie Hanf nutzen können, mit denen wir später die Häuser isolieren.

 

Viele Akteure müssen wieder lernen, mit Holz zu arbeiten.
Carina Hak
Senior-Entwicklerin bei BPD in den Niederlanden

Schneeballeffekt

Das Holz für unsere Häuser kommt hauptsächlich aus dem Ausland, wo es mehr als genug Holz gibt. In den Niederlanden hatte der Holzbau früher Tradition – etwa bei den Amsterdamer Grachtenhäusern –, die aber leider verloren gegangen ist. Viele Akteure müssen wieder lernen, mit Holz zu arbeiten. Das gilt sowohl für den Bau als auch für die Verfahren, denn die Genehmigungsbehörden müssen sich ebenfalls an andere technische Lösungen und Details gewöhnen, die für ein qualitativ hochwertiges Gebäude erforderlich sind. Das Gleiche gilt für Parteien wie den Versicherer Woningborg. Potenzielle Problempunkte wie Brandschutz, Lärm und die Genehmigungen können gelöst werden, wenn diese Parteien viel früher in den Prozess einbezogen werden und alles gründlich geklärt wird. Dieser Aspekt wird immer wichtiger, denn es wird zweifellos einen Schneeballeffekt geben, spätestens dann, wenn eine CO2 Steuer eingeführt wird. Dann wird sich der Holzbau als eine der Standardlösungen noch schneller durchsetzen.“

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