Aufeinandergestapelt in der Stadt
Ein einzelnes Wort kann viel sagen und auslösen. Der Begriff „Dichte“ hat noch eine relativ objektive Bedeutung. Er steht – jedenfalls im Bereich der Stadtentwicklung – für die Konzentration einer bestimmten Einheit auf einer Fläche. Dichte ist vor allem auch ein Begriff, den professionelle Stadtentwickler verwenden. Der Begriff „Verdichtung“ hat für viele Menschen einen Beigeschmack, und zwar nicht selten einen negativen. Verdichtung steht für rücksichtsloses Vollbauen der leeren bzw. grünen Flächen in der Stadt, und das stößt bei den meisten auf wenig Begeisterung. Langsam, aber sicher werden alle städtischen Freiflächen bebaut. Das wiederum hat negative Folgen, wie beispielsweise die Aufheizung der Stadt (urban heat) und die Versiegelung von Sickerflächen für das Regenwasser, aber auch die fehlende Möglichkeit für die Stadtbewohner, im öffentlichen Raum „frische Luft zu schnappen“ und sich allein oder mit anderen zu erholen.
Megacitys
Wer Verdichtung in Reinkultur sehen möchte, landet schnell in den aufstrebenden Ländern Südostasiens. Dort findet man die echten Millionenstädte. Frauke Kraas, Professorin für Geographie an der Universität Köln, erforscht seit Jahren diese Städte, in denen oft fünf bis acht Millionen Menschen wohnen. Die Einwohner- und Infrastrukturdichte ist dort extrem hoch. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt dort in Armut und ist sozial isoliert. Kraas ließ bei der Eröffnung einer Ausstellung in Berlin über diese Megastädte wissen, dass die klassische Stadtplanung von oben nach unten für diese Städte keine Lösung ist: „Man kann sie nicht zuletzt deshalb nicht von oben her planen, weil die Behörden schlecht organisiert sind. Die Entwicklung von Megastädten lässt sich nur lenken, wenn Entscheidungsträger aus verschiedenen Richtungen zusammengebracht werden: aus Stadtverwaltung, gesellschaftlichen Institutionen und Wirtschaft. Die Entwicklungsrichtung muss gemeinsam mit einem Multi-Stakeholder-Ansatz geplant werden.“
Die Entwicklung von Megastädten lässt sich nur lenken, wenn Entscheidungsträger aus verschiedenen Richtungen zusammengebracht werden.
Kräftiges Wachstum
In Westeuropa ist die Situation noch nicht so wie in Asien, aber auch hier ziehen immer mehr Menschen in die Gebiete um, in denen es Arbeitsplätze, Schulen und andere Einrichtungen gibt: in die Metropolen. Die Einwohnerzahl Münchens wird beispielsweise Prognosen zufolge zwischen 2012 und 2030 von 2,6 Millionen auf 3,3 Millionen steigen: ein Wachstum von 24 Prozent. Städte wie Berlin, Hamburg, Amsterdam und Lyon zeigen eine ähnliche Entwicklung. Das gilt auch für Wien, Brüssel, Stockholm und Madrid. Dabei kommt noch hinzu, dass viele Haushalte aus einer oder zwei Personen bestehen, was die Zahl der benötigten Wohnungen zusätzlich in die Höhe treibt, auch wenn diese vielleicht weniger Quadratmeter haben.
Um für diesen Zustrom gewappnet zu sein, muss der verfügbare Raum effizienter eingeteilt werden. In diese Kategorie der sogenannten Nachverdichtung fallen 90 Prozent aller Projekte in Hamburg. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) unterscheidet in der Praxis fünf gängige Strategien: An- und Aufbauen, Lücken in Blöcken schließen, Innenhöfe bebauen, Umstrukturierung (zum Beispiel Bebauung von Kleingärten oder alten Rangiergeländen) und Umwandlung (Abriss/Neubau). In Berlin wurden letztes Jahr zwölf innerstädtische Neubaustandorte festgelegt, an denen über 12.000 Wohnungen gebaut werden sollen. Es sind zum Teil ungewöhnliche Standorte, sogar ein Friedhof ist dabei. Politiker verteidigen die Baupläne oft mit dem Argument, dass damit die Natur in den Außengebieten erhalten bleibt. Sie bekommen Unterstützung von wissenschaftlicher Seite.
So äußerte der Utrechter Professor für Urban Futures, Maarten Hajer, in einem Interview mit der Utrechter Internet Courant (einer Online-Nachrichtenplattform), dass die niederländische Stadt Utrecht seiner Meinung nach noch deutlich wachsen kann: „Utrecht ist in meinen Augen eine sehr leere Stadt. Ich kenne wenige Städte, die so leer sind. (…). Dort entsteht auch die neue Nachfrage: kompaktes Bauen. Man hält die Entfernungen kurz, so dass alles mit dem Fahrrad erreichbar ist und es möglich wird, mehr Einrichtungen in der Nähe der Menschen unterzubringen (...).“
Megastadt verdient Chance
Hajer stützt seine Behauptung auf die Erfahrungen, die er vor Kurzem bei der InternationalenArchitektur-Biennale in Rotterdam 2016 machte, bei der die Verdichtung in Städten ein wichtiges Thema war. Er steht damit nicht allein. So ist beispielsweise in seinem eigenen Land Professor Zef Hemel von der Universität Amsterdam ein großer Befürworter von Megastädten Diese haben seiner Meinung nach auch in den Niederlanden eine Chance verdient. Er schreibt in der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad: „In unserem Land fehlt eine Metropole, ein wirklich großstädtisches Gebiet. Eine stark konzentrierte Stadtentwicklung ist auch hier unvermeidlich (...). Es ist zu hoffen, dass doch irgendwo in den Niederlanden eine echte, vielschichtige Großstadt entsteht.“
Sein Argument: „Metropolen sind eine ideale Lösung, viel nachhaltiger als mittelgroße Städte und unerschöpfliche Quellen des Wohlstands und der Kultur.“ International gesehen sind Kollegen wie der Amerikaner Edward Glaeser Vertreter derselben Linie. Er ist davon überzeugt, dass die Verstädterung der Welt Gutes bringen kann. Nicht umsonst trägt sein Buch Triumph of the City von 2011 den Untertitel: How Our Greatest Invention Makes Us Richer, Smarter, Greener, Healthier, and Happier. In einem Interview mit The European behauptet Glaeser, dass wir dank der Städte in der Lage sind, „intelligenter zu werden, indem wir uns mit anderen intelligenten Menschen umringen. Das ist der Grund, weshalb die Städte in den letzten dreißig Jahren nicht überflüssig geworden sind.“
Metropolen sind eine ideale Lösung, viel nachhaltiger als mittelgroße Städte und unerschöpfliche Quellen des Wohlstands und der Kultur.
„Die Aufgabe der Nachverdichtung ist nicht neu für unsere Branche“
„Im Zeitraum von 1990 bis 1994 nach der deutschen Wiedervereinigung haben wir dies schon einmal erlebt. Auch damals mussten wir möglichst schnell neuen Wohnraum bauen und dabei auf vorhandene, erschlossen Grundstücke zurückgreifen. Jedoch ist der Nachfragedruck jetzt noch größer und hält auch länger an. Wir sehen drei Trends: Eine starke Immigration nach Deutschland, wir bewegen uns von den Rändern zur Mitte der Städte und Menschen verlassen wirtschaftlich schwache Regionen, um in die wirtschaftlich starken Regionen abzuwandern. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Berlin und München wachsen zum Beispiel während im Ruhrgebiet manche Städte Schwierigkeiten haben, ihre Bevölkerung zu halten. Die Steigerung der Attraktivität geht dort vor Nachverdichtung. In unserem Portfolio von Projekten ist eine bemerkenswerte Wende aufgetreten. Vor acht Jahren realisierten wir 80 bis 90 Prozent Einfamilienhäuser. Das ist heute völlig umgekehrt. Der größte Anteil besteht nun aus Wohnungen in innerstädtischen Lagen. Die Städte sind für viele Leute jetzt ein attraktiver Ort zum Leben. Nachverdichtung bedeutet in vielen Fällen, dass wir veraltete Industriegelände und gewerblich genutzte Flächen sanieren und neu bebauen. Nachverdichtung ist aber auch die Baulückenschließung, die Bebauung von Freiflächen in Wohnensembles der 50-er und 60-er Jahre, die oft noch viel Platz zwischen den Gebäuden haben, weil hier beispielsweise Überbauungen wie etwa Zwecknutzungen mit Parkplätzen vorliegen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum Beispiel wird die vorhandene Infrastruktur intensiver genutzt. Die menschliche Komponente, das meint der richtige Maßstab, darf bei der Nachverdichtung aber nicht verloren gehen. Dichte braucht mehr Grün. Städtische Blickachsen müssen erhalten bleiben, und das Auge braucht auch den Freiraum von Plätzen und städtischen Räumen. Dies ist sehr wichtig in diesem Bereich. Punktuelle Wohnhochhäuser sind auch eine Art der Nachverdichtung, die ich mir vorstellen kann. Allein, unsere Käufer wollen keine Hochhausmilieus, wie wir sie von Trabantenstädten Chinas kennen. Wir haben die Wohnsiedlungen mit Hochhäusern gesehen, die wir in Europa bevorzugt in den 70-er Jahren gebaut haben: So etwas sollte nicht mehr passieren. Attraktive Architektur, ausreichend Grün, die gute Gestaltung des öffentlichen Raums und geeignete Infrastrukturangebote sind bei einer verdichteten Bebauung zwingend notwendig. Daneben benötigen solche Gebiete identitätsstiftende Einrichtungen und ein Wir-Gefühl der dort lebenden Menschen. Dichter bauen bedeutet, diesen weichen Faktoren mehr Aufmerksamkeit zu geben, die auf Dauer die Lebensqualität in den Wohngebieten bestimmen.“
Viel Kreativität
Bemerkenswerterweise stehen auch die Verbraucher in der letzten Zeit einer höheren Wohnungsdichte positiver gegenüber. Die Vergleichsstudie, die BPD alle zwei Jahre in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden durchführt, weist aus, dass vor allem in den beiden erstgenannten Ländern das Wohnen in Großstädten beliebt ist, insbesondere im Zentrum dieser Großstädte. Etagenwohnungen gewannen in Deutschland zwischen 2011 und 2016 weiter an Beliebtheit, und das galt bemerkenswerterweise auch für die Niederlande, ein Land, in dem das Einfamilienhaus lange Zeit die Norm war. Ganze 38 Prozent können sich vorstellen, in einem Wohnhaus mit mehr als acht Stockwerken zu wohnen. Damit scheint der Markt noch viel Potenzial für eine weitere Verdichtung zu bieten. Entwickler und Planer greifen diesen Umstand auf und machen ihn sich kreativ zunutze. Ein Beispiel ist das Holon House, das BPD zusammen mit Office Jarrik Ouburg und FreyH Studio für Amsterdam entwickelte: ein 22 geschossiger „Bleistiftturm“ mit 20 x 24 Metern Grundfläche. Das zeigt, dass technisch und konzeptuell vieles möglich ist.
Effiziente Städte
Allerdings stellt sich die Frage, wie all diese Kreativität in der Stadt umgesetzt werden kann. Der niederländische Architekt Sjoerd Soeters (er benannte sein Büro kürzlich in ‚Pleasant Places Happy People‘ um) hat in verschiedenen Städten in- und außerhalb der Niederlande Erfahrungen mit innerstädtischen Wohnhäusern und -vierteln gesammelt. Er plädiert dafür, auf jeden Fall nicht den modernistischen Weg zu gehen, wie dies von Stadtplanern wie Le Corbusier mit seinem Plan Voisin propagiert wurde, den er für Paris aufstellte. „Das katastrophale Erbe seines ‚Licht und Luft‘ Denkens ist in den französischen Banlieues zu sehen, aber auch in vielen anderen Nachkriegs-Hochhausvierteln in allen westlichen Ländern.“
Anno 2017 geht es nach Soeters Meinung bei attraktiven Städten um „Stadtgebiete mit einer Mischung von Gebäuden und Funktionen, die um eine sinnreiche und intensiv genutzte Zone herum angesiedelt sind, in der sich die Menschen treffen, wenn sie sie durchqueren oder sich in ihr aufhalten.“ Hochhäuser gehören nicht zwangsläufig dazu: „Nehmen Sie die Innenstadt von Amsterdam: Dort ist die Dichte relativ hoch, wobei sich die Funktion einzelner Gebäude im Laufe der Jahrhunderte problemlos geändert hat. Auch die von uns entworfene Java-Insel im östlichen Hafengebiet ist ein Beispiel: 100 Wohnungen pro Hektar und dennoch mit guten Spielmöglichkeiten für Kinder.“ Die Stadtverwaltung erfüllt dabei eine wichtige Aufgabe: „Die Kommune muss exakt festlegen, welche Anforderungen eine attraktive und erlebbare Stadt erfüllen muss. Das geschieht bisher noch zu wenig. Auch in Amsterdam geht das meiner Meinung nach nicht gut. Dort werden jetzt einzelne Grundstücke mit Anforderungskatalogen an privatwirtschaftliche Bauherren ausgegeben, die sich nur am Grundstückspreis und der Energieeffizienz orientieren. Das birgt eine Gefahr in sich: Es entsteht eine Stadt mit schrillen Einzelgebäuden, die dann Ikonen genannt werden. Ohne einen gründlich durchdachten öffentlichen Raum wird diese Form der Stadtentwicklung auf Dauer misslingen.“ Dabei warnt er davor, dieselben Fehler zu machen wie bei ausländischen Beispielen: „Weshalb sollte man aus dem Zeeburgereiland (einem Standort am Rand der Innenstadt, Red.) ein Stück Vancouver mit lauter Wolkenkratzern machen? Das erscheint mir ein Irrweg. Man sollte lieber das Bestehende mit den heutigen Daten und Wünschen der Menschen – wie beispielsweise einer guten Fahrradinfrastruktur – auf eine vernünftige Weise weiterentwickeln.“
Ohne einen gründlich durchdachten öffentlichen Raum wird diese Form der Stadtentwicklung auf Dauer misslingen.
Ächzende Städte
Damit stellt sich abschließend die Frage: Wann ist die Grenze erreicht? Die europäischen Städte haben im 19. Jahrhundert während der industriellen Revolution bewiesen, dass sie sehr schnell wachsen konnten. Durch eine gute Planung von Wasserversorgung, Kanalisation und Wohnungsbau konnte die Expansion in geordnete Bahnen gelenkt werden. Wird das auch bei dem Wachstumsschub der kommenden Jahre gelingen? Städte wie Zürich und Wien, die nicht unbedingt bekannt sind für ihre vielen Hochhäuser, werden heute wegen ihrer Lebensqualität geschätzt. Wenn der Ausbaudrang durch die Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung in den kommenden Jahren anhält – und es sieht ganz danach aus –, werden einige der Metropolen darunter ächzen. Für die Kommunen, Entwickler und Planer wird die Kunst darin bestehen, neue Wohnmöglichkeiten zu schaffen, ohne den bestehenden Raum völlig in Beschlag zu nehmen. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber auch eine reizvolle. Der Multi-Stakeholder-Ansatz, den Frauke Kraas für asiatische Städte vorschlägt, erscheint auch hier sinnvoll. Außerdem ist letztlich nicht völlig auszuschließen, dass das Pendel bei der Stadtentwicklung wieder in die andere Richtung ausschlägt. Viele westeuropäische Städte erlebten in den 1960er und 1970er Jahren eine starke Suburbanisierung. Das könnte sich durchaus wiederholen, besonders dann, wenn das Leben in den Städten so teuer wird, dass vor allem Familien wieder nach außerhalb ausweichen.
Karen Harris von der Unternehmensberatung Bain & Company weist beispielsweise darauf hin, dass die Einwohnerzahl Londons zwar insgesamt wächst, dass aber in den letzten Jahren auch 600.000 englische Haushalte die Stadt verlassen haben. „Das Wachstum wurde vor allem durch den Zustrom von Ausländern aufrechterhalten“, erklärt sie in einem Interview mit der Redaktion von Hyperloop. Ihr Büro veröffentlicht seit Jahren die Studie Spatial Economics: The declining costs of distance. Dabei stehen drei Trends im Mittelpunkt: die Erstellung von Waren und Dienstleistungen in kleinerem Maßstab wird interessanter, der Ausbau von Highspeed-Internetzugang schreitet rasch voran und neue Techniken (selbstfahrende Autos, Drohnen) drücken die Transportkosten. Damit ist abzusehen, dass sich immer mehr Menschen an einer beliebigen Stelle in den ländlichen Außenbezirken niederlassen werden. Karen Harris nennt das die New Villages: Wohngebiete in den äußersten Zonen der Ballungsräume. „In einer posturbanen Wirtschaft wird die Nähe zum Büro immer weniger wichtig. Die Menschen lassen sich dort nieder, wo sie angenehm wohnen können.“ Ein interessanter Gegengedanke in einer Zeit, in der die Stadt von vielen als das Nonplusultra gesehen wird. Die Zeit wird es zeigen.